In dieser Woche ist wahrlich historisches passiert. Nachdem Bundestagspräsident Horst Lammert bereits am Mittwoch von Völkermord gesprochen hat, zog gestern die Bundesregierung nach und bekennt sich nun offiziell zum Völkermord an den Hereros und Namas.
Der Hintergrund
1884 wurde Namibia offiziell zum deutschen Schutzgebiet erklärt. Jedoch nicht nur die unwegsame Landschaft erschwerte das Vorhaben Namibia zu deutschem Gebiet zu erklären, sondern auch die lokale Bevölkerung. Durch die deutsche Besatzung verlor die Bevölkerung einen großen Teil ihres Landes, teilweise auch durch Mithilfe des Herero Chiefs Samuel Maharero. Über die gesamte deutsche Besatzungszeit gab es im ganzen Land kleinere und größere Scharmützel und Aufstände. Eben jener Maharero lehnte sich schließlich aber doch gegen die Deutschen auf und rief 1904 alle Hereros auf, den Deutschen den Krieg zu erklären aufgrund deren Repressionen sowie des Land- und Bedeutungsverlustes. Zu Beginn des Jahres brannten Hereros Dutzende Farmen in der Gegend um Okahandja nieder und töteten zwischen 123 und 150 Siedler. Aufgrund dieser Aufstände wurde der Landeshauptmann Curt von François, unter anderem aufgrund seiner noch bestehenden Bereitschaft zu verhandeln, abberufen und Lothar von Trotha nach Namibia entsandt. Die Aufstände gipfelten schließlich in der Schlacht am Waterberg, wo sich die Hereros, etwa 80.000 Menschen, zurückgezogen hatten. Von Trotha plante den Angriff auf die Hereros auf den 11. August 1904 wo deutsche Truppen die Hereros umzingelten. Obwohl mit der Guerilla-Taktik den Deutschen Nadelstiche gesetzt werden konnten, mussten die Hereros der technischen Unterlegenheit Tribut zollen, durchbrachen an einer Schwachstelle in den deutschen Reihen und flohen durch die Omaheke-Wüste Richtung Betschuanaland (heute Botswana). Deutsche Einheiten verfolgten die Hereros und vertrieben sie von den Wasserstellen. Am 2. Oktober 1904 erging von Trothas berühmter Schießbefehl.
Um Missverständnissen vorzubeugen wird hier der gesamte Befehl zitiert:
Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten, und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1000 Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält 5000 Mark. Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen.
Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Hereros.
Der große General des mächtigen deutschen Kaisers.
Er fügte schließlich noch folgenden Zusatz an:
Dieser Erlaß ist bei den Appells der Truppen mitzuteilen mit dem Hinzufügen, daß auch der Truppe, die einen der Kapitänen fängt, die entsprechende Belohnung zuteil wird und das Schießen auf Weiber und Kinder so zu verstehen ist, daß über sie hinweggeschossen wird, um sie zum Laufen zu zwingen. Ich nehme mit Bestimmtheit an, daß dieser Erlaß dazu führen wird, keine männlichen Gefangenen mehr zu machen, aber nicht zu Grausamkeiten gegen Weiber und Kinder ausartet. Diese werden schon fortlaufen, wenn zweimal über sie hinweggeschossen wird. Die Truppe wird sich des guten Rufes des Deutschen Soldaten bewußt bleiben.
der Kommandeur
gez. v. Trotha, Generalleutnant.
Das Resultat dieser Politik wurde 1911, beim ersten Zensus seit 1904, offensichtlich: Von schätzungsweise 80.000 Hereros lebten dann noch 15,130, von circa 20.000 Namas, die den Hereros unterstützend zur Seite standen, überlebten 14.326. Der Großteil der Opfer kam dabei in der Omahake-Wüste ums Leben, mehrere Hundert in eigens eingerichteten Konzentrationslagern.
Die Anerkennung als Genozid
Schon seit vielen Jahren versuchten sowohl deutsche Parteien im Bundestag mit Anfragen den Völkermord an den Herero in die Debatte einzubringen als auch mehrere namibische Delegationen, die erreichten dass, damals in Deutschland zu „wissenschaftlichen“ Untersuchungen eingelagerte namibische Totenschädel teilweise zurückgegeben wurden. Auch eine Entschuldigung der damaligen Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul während ihres Besuches zum 100jährigen Gedenken führte nicht zu einer entsprechenden Reaktion der gesamten Regierung.
Nun, 11 Jahre später, ist überraschenderweise schnell Bewegung in die Angelegenheit gekommen. Jahrzehntelang weigerten sich die Bundesregierungen die Verbrechen als Genozid anzuerkennen mit der Begründung, dass der Begriff „Völkermord“ erst 1948 von den Vereinten Nationen eingeführt wurde und so nicht auf die Situation in Namibia angewandt werden kann. 2012 wurde das Thema prominent mit einer gemeinsamen Anfragen von SPD und Grünen, dass der Bundestag die schwere Schuld, „die deutsche Kolonialtruppen mit den Verbrechen an den Herero, Nama, Damara und San auf sich geladen haben“, anerkennen solle. Diese Anfrage wurde unter anderem von dem damaligen Oppositionspolitiker und heutigem Außenminister Frank-Walter Steinmeier unterschrieben.
Diese Woche überreichten schließlich mehrere NGOs und die namibische Parlamentsabgeordnete Ida Hoffmann dem Bundespräsidialamt eine Petition mit der Forderung die Verbrechen als Genozid anzuerkennen. Unter anderem führte dies nun dazu, dass die Bundesregierung von nun an diese Leitlinie verfolgt: „Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord.“ Ob es eine offizielle Entschuldigung und Reparationszahlungen geben wird, ist noch nicht klar.
Ein großer Schritt
Dies ist ein großer Schritt in den deutsch-namibischen Beziehungen und wird positive Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Deutschen und NamibierInnen sowohl in Deutschland als auch Namibia haben. Die weitere Entwicklung bleibt nun abzuwarten, speziell im Hinblick auf eine offizielle Entschuldigung und weitere Maßnahmen der Versöhnung wie die Rückgabe der übrigen Schädel die in Deutschland noch aufbewahrt werden.
Literatur für die geschichtliche Einordnung:
Glocke, N., 1997. Zur Geschichte der Rheinischen Missionsgesellschaft in Deutsch-Südwestafrika unter besonderer Berücksichtigung des Kolonialkrieges von 1904 bis 1907. Bochum: Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer.
Wallace, M., 2015. Geschichte Namibias. Basel: Basler Afrika Bibliographien.
Zimmerer, J. 2001, Deutsche Herrschaft über Afrikaner. Hamburg: Lit-Verlag

Quelle: commons.wikipedia.org
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